Leitzsatz
Die außerplanmäßige Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze um 500,00 Euro im Jahr 2013 kann bei Versorgungszusagen mit "gespaltener Rentenformel" nicht ausgeblendet werden. Eine Korrektur kommt allenfalls dann in Betracht, wenn die erlittenen Renteneinbußen so erheblich sind, dass den Betriebsrentnern ein Festhalten an der getroffenen Vereinbarung unzumutbar ist (BAG, Urteil vom 23. April 2013 - 3 AZR 475/11).
Sachverhalt
Der beklagte Arbeitgeber hatte dem klagenden Betriebsrentner Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt. Die Berechnung der Betriebsrente sollte dabei nach einer sogenannten "gespaltenen Rentenformel" erfolgen. Für den oberhalb der Betragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung liegenden Anteil des Einkommens waren daher höhere Versorgungsleistungen vorgesehen als für den darunter liegenden Teil. Eine derartige Berechnung der Leistungen betrieblicher Altersversorgung ist nicht unüblich. Die "Spaltung" bezweckt zum einen, die Versorgungslücke zu schließen, die dadurch entsteht, dass der Arbeitnehmer für die oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegenden Vergütungsbestandteile keine Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält. Zum anderen sind durch den Arbeitgeber für die oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegenden Vergütungsbestandteile keine Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung abzuführen, weshalb er dazu bereit ist, die hierdurch "eingesparten" Mittel für einen höheren Anstieg der betrieblichen Altersversorgung einzusetzen. Die Beitragsbemessungsgrenze wird üblicherweise im Jahresrhythmus an die bundesweite Entwicklung der Bruttogehälter angepasst. Mit Wirkung zum 1. Januar 2003 hatte der Gesetzgeber sie jedoch außerplanmäßig "sprunghaft" um einen Betrag von € 500,00 erhöht, um der Finanzierungslücke in der gesetzlichen Rentenversicherung entgegen zu wirken. Für die Berechnung von Versorgungsleistungen nach einer "gespaltenen Rentenformel" führte dieser Sprung aus Sicht der Betriebsrentner zu einer Verschlechterung, da nunmehr geringere Anteile des Einkommens oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegen. In zwei Urteilen vom 21. April 2009 hatte das Bundesarbeitsgericht die Grundsatzentscheidung getroffen, dass dieser Effekt aus dem Sprung der Beitragsbemessungsgrenze nicht zu Lasten der Versorgungsempfänger gehen dürfe. Nach damals vertretener Auffassung sollte die Betriebsrente daher so zu berechnen sein, als ob die außerplanmäßige Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze nicht erfolgt wäre.
Entscheidung
Nachdem diese Rechtsprechung auf nahezu einhellige Kritik der Literatur und auch einer Reihe von Instanzgerichten gestoßen ist, hat das Bundesarbeitsgericht seine Auffassung nun korrigiert. Im Einklang mit der herrschenden Auffassung vertritt der Senat nun die Ansicht, dass der Sprung der Beitragsbemessungsgrenze im Grundsatz auch für die Berechnung von Betriebsrenten nach "gespaltener Rentenformel" zu berücksichtigen ist. Die sich hieraus ergebenden Nachteile sind von den Betriebsrentnern hinzunehmen. Nur dann, wenn der Sprung der Beitragsbemessungsgrenze zu so erheblichen Renteneinbußen führt, dass dem Betriebsrentner ein Festhalten an der getroffenen Vereinbarung unzumutbar ist, habe eine Anpassung zu erfolgen. Dazu, ab welcher Grenze diese Erheblichkeitsschwelle überschritten sein soll, hat das Bundesarbeitsgericht sich – jedenfalls in der bislang nur veröffentlichten Pressemitteilung – nicht konkret geäußert. In den nun entschiedenen Fällen bewegten sich die Renteneinbußen in Größenordnungen zwischen 5% und 10%, ohne dass das Bundesarbeitsgericht eine Anpassung für erforderlich gehalten hätte.
Anmerkung
Mit seiner Entscheidung nimmt das BAG die ersehnte Korrektur seiner bisherigen Rechtsprechung um 180 Grad vor und schließt sich offensichtlich den überzeugenden Argumenten, die von Literatur und verschiedenen Instanzgerichten vorgebracht worden sind, an. Der früheren Rechtsprechung, wonach der sprunghafte Anstieg der Beitragsbemessungsgrenze zu einer im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließenden Lücke der Versorgungsordnung geführt habe, war zu Recht entgegengehalten worden, dass sich allein die in Bezug genommene Größe der Beitragsbemessungsgrenze über Gebühr geändert habe. Es hat sich daher keine Lücke in der Versorgungsordnung, sondern lediglich eine unerwartete Änderung äußerer Umstände ergeben. Zur Korrektur derartiger Fälle sieht die Rechtsordnung das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage vor. Dessen Mechanismen greifen aber nicht bereits bei jeglichen Äquivalenzstörungen ein, sondern können nur dann herangezogen werden, wenn der unerwartete Geschehensablauf dazu führt, dass eine unveränderte Fortführung des Vertrages eine der beiden Parteien nicht länger zumutbar ist. Zutreffenderweise hat das Bundesarbeitsgericht nun eingelenkt und lehnt eine Anpassung der Versorgungsordnung für Fälle, in denen die Renteneinbuße die Zumutbarkeitsgrenze nicht überschreiten, ab. Arbeitgeber, deren Versorgungsordnung eine sogenannte "gespaltene Rentenformel" vorsieht, können nach dieser Entscheidung aufatmen und ihre Berechnungsformel im Grundsatz wie vorgesehen umsetzen. Nur bei erheblichen Einbußen, d. h. solchen die über 10 % liegen, kann es angezeigt sein, die Rentenformel dahingehend anzupassen, dass der besondere Effekt aus dem Sprung der Beitragsbemessungsgrenze abgemildert wird.