Urteil des Bundesgerichtshofs zur Anpassung der Miete im Falle der Geschäftsschließung aufgrund hoheitlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verkündet

Berlin / Köln, 13.01.2022

Covid -19Der 12. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 12. Januar 2022, Az. XII ZR 8/21) hat bestätigt, dass im Falle einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, zwar im Grundsatz ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommt. Das bedeute aber nicht, dass einem Mieter stets ein Anspruch auf Anpassung für diesen Zeitraum zustünde. Vielmehr bestätigt der BGH, dass es einer umfassenden Abwägung bedürfe, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu würdigen sind.

Der Fall

Eine Mieterin von Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäftes musste dieses aufgrund einer Allgemeinverfügung zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie vom 19. März 2020 bis zum 19. April 2020 schließen und entrichtete daher für den Monat April 2020 keine Miete.

In erster Instanz wurde sie vom Landgericht Chemnitz (Urt. v. 26.08.2020, Az. 4 O 639/20) zur Zahlung der vollen vertraglich vereinbarten Miete i.H.v. EUR 7.854,00 für den Monat April 2020 verurteilt. Das zuständige Oberlandesgericht Dresden (Urt. v.24.02.2021, Az. 5 U 1782/20) hob die Entscheidung des Landgerichts wieder auf und befand, dass für die Tage der behördlich angeordneten Schließung eine anteilige Reduzierung der Kaltmiete um 50% nach dem Grundsatz der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB vorzunehmen sei. 

Die Entscheidung

Auf die Revision der Vermieterin hat der BGH das Urteil des Oberlandesgerichts nunmehr aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Keine Mietminderung aufgrund eines Mangels der Mietsache

Der BGH hat – wie zuvor das Oberlandesgericht – eine Mietminderung nach § 536 Abs. 1 BGB abgelehnt. Dafür fehle es nach Auffassung des Gerichts an einem Mangel der Mietsache. Sofern gesetzgeberische Maßnahmen im laufenden Mietverhältnis zu einer Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs führen, könne ein Mangel i.S.d. § 536 Abs. 1 BGB lediglich dann angenommen werden, wenn die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht.

Dies sei bei den allgemeinen hoheitlichen Schließungsanordnungen mit Bezug auf die Covid-19-Pandemie aber gerade nicht der Fall. Diese knüpfen ausschließlich an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr an. Weder die Nutzung der angemieteten Räume durch die Mieterin noch die Überlassung durch die Vermieterin werden nach Auffassung des BGH verboten.

Ein Mangel dürfe im vorliegenden Fall auch nicht deshalb angenommen werden, weil als Mietzweck die „Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art, sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs“ vereinbart wurde. Die Mieterin könne daraus nicht ableiten, dass die Vermieterin mit der vorgenannten Zweckvereinbarung auch im Falle einer pandemiebedingten hoheitlichen Schließungsanordnung eine unbedingte Einstandspflicht übernehmen wollte.

Anwendbarkeit des § 313 Abs. 1 BGB nicht durch die Vorschrift des Art. 240 § 2 EGBGB gesperrt

Der BGH bestätigte zudem, dass eine Anpassung der Miete nach dem Grundsatz des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB nicht bereits aufgrund der Regelung des Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen ist. Diese beschränke das Kündigungsrecht des Vermieters für den Fall, dass Mietrückstände im Zeitraum vom 1. April 2020 bis zum 30. Juni 2020 auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruhen. Sinn und Zweck der Vorschrift sei jedoch ausschließlich die Absicherung des Mieters vor dem Verlust der Mietsache infolge der ersten pandemiebedingten wirtschaftlichen Unsicherheiten. Es handele sich jedoch gerade nicht um eine abschließende Regelung bezüglich der Konsequenzen der COVID-19-Pandemie auf Mietverhältnisse. 

Anspruch des Mieters auf Anpassung der Miete gemäß § 313 Abs. 1 BGB unter zwingender Berücksichtigung des Einzelfalls

Der BGH stellt nunmehr klar, dass Mietern von gewerblichen Räumen im Falle einer hoheitlich angeordneten Geschäftsschließung, die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen kann. Wegen der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, darunter Geschäftsschließungen, sei die Erwartung der vertragsschließenden Parteien betroffen, dass sich die grundlegenden Rahmenbedingungen des Vertrages nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde (sog. „große Geschäftsgrundlage“). Diese Erwartung habe jedoch durch die erlassenen Allgemeinverfügungen eine schwerwiegende Störung erfahren.

Für die Möglichkeit eines Anspruchs aus § 313 Abs. 1 BGB spreche insbesondere auch die neu eingeführte Vorschrift des Art. 240 § 7 EGBGB. Sofern vermietete Grundstücke oder Räume aufgrund staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind, werde danach vermutet, dass sich ein Umstand i.S.d. § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrages geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.

Der BGH bestätigt in seiner Entscheidung allerdings auch, dass die objektive Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB nicht bereits für sich allein zur Vertragsanpassung berechtigt. Die gesetzliche Regelung verlange vielmehr, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Eine pauschale Betrachtungsweise verbiete sich. Hierzu benennt der BGH auch einige für die Abwägung relevante Kriterien.

Was folgt aus der Entscheidung?

In der Vergangenheit wurden unterschiedliche Auffassungen zur Frage der Mietzahlungsverpflichtung im Falle einer Geschäftsschließung aufgrund hoheitlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie vertreten.

Zuletzt eher nur noch vereinzelt wurde in diesen hoheitlichen Maßnahmen ein Mangel der Mietsache gesehen. Ganz überwiegend wurde jedoch vertreten, dass einem Mieter während dieses Zeitraums, jedenfalls im Grundsatz, ein Anspruch auf Anpassung der Miete nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen kann. Diese auch von uns seit Beginn der Pandemie vertretene herrschende Ansicht wurde nun durch den BGH bestätigt.

In der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung wurde zum Teil – wohl auch aus Vereinfachungsgründen – für eine pauschale 50/50 Lösung plädiert. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass das Risiko einer Systemkrise wie der COVID-19-Pandemie nicht allein einer Vertragspartei zugewiesen werden könne. Die herrschende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur befürwortete jedoch die nun auch vom BGH bestätigte einzelfallbezogene Betrachtungsweise.

Sofern gewerbliche Mieter eine Anpassung der Miete für den angeordneten Schließungszeitraum vornehmen möchten, müssen sie vortragen und nachweisen, welche Nachteile ihnen durch die Geschäftsschließung tatsächlich entstanden sind. An diesem Erfordernis ist bislang in vielen der hierzu bereits geführten Gerichtsverfahren der von den Mietern begehrte Anspruch auf Reduzierung oder Aussetzung der Mietzahlungsverpflichtung gescheitert.

Der BGH benennt für die erforderliche Abwägung hilfreiche allgemeine Kriterien. Als Nachteil kann insbesondere ein Umsatzrückgang für den schließungsrelevanten Zeitraum angesehen werden. Von Bedeutung ist dabei jedoch ausschließlich der Umsatzrückgang bezogen auf das jeweilige Mietobjekt. Der Konzernumsatz soll dagegen keine Berücksichtigung finden. Ferner solle berücksichtigt werden, ob und welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder hätte ergreifen können, um den Umsatzrückgang während der Geschäftsschließung zu vermindern. Als Beispiel ist hier etwa die Einführung eines Onlineshops mit der Möglichkeit zur Abholung der Ware vor Ort zu nennen (Click & Collect). 
Des Weiteren muss sich der Mieter grundsätzlich auch finanzielle Zuschüsse anrechnen lassen, die er zum Nachteilsausgleich während der Pandemie erhalten hat. Dies sind insbesondere staatliche Unterstützungen, wie die Überbrückungshilfen, sowie Zahlungen einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung. Sofern die (staatlichen) Leistungen allerdings als Darlehen gewährt wurden, sei darin kein zu berücksichtigender finanzieller Vorteil des Mieters zu sehen, da ein Darlehen ist nicht geeignet sei, die erlittenen Umsatzeinbußen dauerhaft zu kompensieren.

Im Ergebnis gilt es stets zu prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Konsequenzen die pandemiebedingten Geschäftsschließungen auf die einzelnen Mieter hatten und ob diese Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, das eine Anpassung des Mietvertrags erforderlich macht. 

Bei der gebotenen Abwägung sind immer auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen. Vermieter sollten sich daher dem Minderungsbegehren der Mieter aufgrund der pandemiebedingten Schließungen nicht vorschnell hingeben und den jeweiligen Fall genau prüfen.

Ganz allgemein bestätigt damit der BGH mit seinem Urteil die auch von uns in den vergangenen zwei Jahren vertretene Rechtsansicht.

 

Autoren: Silvio Sittner, Dr. Markus Heider, Julian Sander & Katharina Heller

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