Erweiterter gesetzlicher Unfallversicherungsschutz für Beschäftigte im Homeoffice

Köln, 18.10.2022

UnfallDas Homeoffice erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit. In der anstehenden kalten Jahreshälfte dürfte sich die Zahl der Beschäftigten, die zumindest gelegentlich ihre Tätigkeit von zu Hause aus oder mobil erbringen, weiter erhöhen. Auch die Bundesregierung trägt dieser Entwicklung Rechnung: Der Entwurf des Jahressteuergesetzes 2022 sieht eine Anhebung der sog. Homeoffice-Pauschale von EUR 600,- auf EUR 1.000,- vor. Beschäftige können also mit einer weiteren finanziellen Entlastung rechnen, wenn sie aus dem Homeoffice tätig werden.

Zugleich bestehen im Zusammenhang mit Homeoffice-Tätigkeiten weiterhin zahlreiche rechtliche Unsicherheiten für Unternehmen und Beschäftigte. Einer dieser Aspekte ist die Frage, inwieweit Homeoffice-Tätigkeiten dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz unterfallen. Das Bundessozialgericht (BSG) hatte zwischenzeitlich erneut Gelegenheit, sich hierzu zu positionieren (Urteil vom 8. Dezember 2021 – B 2 U 4/21 R). 

Die gute Nachricht für Unternehmen und Beschäftigte: Das BSG hat den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz im Ergebnis ausgedehnt.

Sachverhalt

Der als Gebietsverkaufsleiter tätige Kläger arbeitete regelmäßig im Homeoffice und nahm dort die Arbeit gewöhnlich unmittelbar nach dem Aufstehen auf. Am streitgegenständlichen Morgen im September 2018 stürzte der Kläger auf seinem morgendlichen Weg vom Schlafzimmer in sein eine Etage tiefer liegendes häusliches Büro die Treppe hinab und verletzte sich an der Wirbelsäule. Der Kläger meldete den Schaden der zuständigen Berufsgenossenschaft. Im Einklang mit der früheren Rechtsprechung vertrat diese jedoch die Auffassung, der Sturz sei nicht als Arbeitsunfall zu qualifizieren, weshalb kein Anspruch auf Versicherungsleistungen bestünde.

Das Sozialgericht Aachen (SG) gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Auch der erstmalige morgendliche Weg vom Schlafzimmer ins Homeoffice stelle einen gesetzlich versicherten „Betriebsweg“ dar. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) verneinte hingegen die Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall und ging von einer nicht versicherten Vorbereitungshandlung aus, die der eigentlichen Tätigkeit nur vorausgehe (Urteil vom 9.11.2020 – L 17 U 487/19). Zur Begründung führte das LSG aus, dass sowohl bei Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit als auch bei einem direkt von der Wohnung aus angetretenen Betriebsweg die nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit erst mit dem Durchschreiten der Haustür des Gebäudes beginne, in dem sich die Wohnung des Versicherten befindet (sog. „Außentürtheorie“).

Entscheidung des BSG

Die Revision des Klägers hatte Erfolg: Das BSG schloss sich der Auffassung des SG an und bejahte den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz in Bezug auf den vom Kläger erlittenen Unfall. Der zurückgelegte Weg zur erstmaligen Arbeitsaufnahme innerhalb der eigenen Wohnung sei als sog. „Betriebsweg“ versichert. Darunter fallen Wege, die „in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen“. Daher stelle der Sturz einen Arbeitsunfall im Sinne von § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII dar.

Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung, ob gesetzlicher Unfallversicherungsschutz im Homeoffice bestehe, sei laut BSG die sog. „objektivierte Handlungstendenz“ zur beruflichen Tätigkeit. Daher sei konkret zu prüfen, ob der Beschäftigte „bei der zum Unfallereignis führenden Verrichtung eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird“.

Praxishinweise

Wie die Entscheidung des BSG schulbuchartig aufzeigt, kommt ein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz für Beschäftigte grundsätzlich unter drei Gesichtspunkten in Betracht:

a.) Der Unfall ereignet sich im Rahmen der Ausübung der eigentlichen Tätigkeit.

b.) Der Unfall ereignet sich auf einem Weg zu oder von dem Ort der Tätigkeit.

c.) Der Unfall ereignet sich auf einem sog. Betriebsweg.

In der Vergangenheit vertrat die Rechtsprechung hinsichtlich des Unfallversicherungsschutzes für (Betriebs-)Wege (vorstehend unter b. und c. aufgelistet) die sog. „Außentürtheorie“. Demnach erforderte der Versicherungsschutz, dass sich der Unfall nach Durchschreiten der Haustüre des Wohnhauses des Beschäftigten ereignet. Diese Sichtweise hat das BSG nunmehr für Betriebswege aufgegeben. Selbst wenn der Beschäftigte seine Wohnung nicht verlasse, könne Unfallversicherungsschutz bestehen, wenn sich die Tätigkeit unter Berücksichtigung der objektivierten Handlungstendenz als betriebsdienlich darstelle.

Es bleibt für Beschäftigte die Hürde, im Einzelfall darlegen und beweisen zu können, dass für die konkrete Handlung, in deren Rahmen es zu einem Unfall gekommen ist, eine betriebsdienliche Handlungstendenz vorlag. Hierbei seien laut BSG insbesondere der konkrete Ort und Zeitpunkt des Unfallgeschehens zu berücksichtigen.

Gesetzliche Gleichstellung von Homeoffice-Tätigkeiten

In der vorstehenden Entscheidung lässt das BSG ausdrücklich offen, ob bzw. inwieweit die eigentliche Tätigkeit im Homeoffice dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz unterfalle. Dieser Frage hat sich begrüßenswerterweise der Gesetzgeber angenommen. Nach der Neufassung von § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII werden Tätigkeiten „im Haushalt“ oder „an einem anderen Ort“ hinsichtlich des gesetzlichen Versicherungsschutzes mit Tätigkeiten „auf der Unternehmensstätte“ gleichgesetzt.

Diese Formulierung legt nahe, dass – neben dem Homeoffice – auch andere Formen „mobiler“ Arbeitserbringung erfasst sind.

Fazit und Ausblick

Mit seiner aktuellen Entscheidung hat das BSG klargestellt, dass der Unfallversicherungsschutz im Homeoffice davon abhängt, ob sich der Unfall bei einer im Interesse des Arbeitgebers liegenden Tätigkeit ereignet hat. Die Unterscheidung, ob die versicherte Tätigkeit in der betrieblichen oder in der häuslichen Arbeitsstätte erbracht wird, tritt für die Beurteilung – auch unter Berücksichtigung der aus § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII erfolgenden normativen Gleichstellung – dagegen weitgehend in den Hintergrund.

Auf Basis von § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII in Verbindung mit der geänderten Rechtsprechung des BSG wird man den Unfallversicherungsschutz im Rahmen von Homeoffice-Tätigkeiten nicht nur für den morgendlichen Weg zwischen Bett und heimischem Schreibtisch, sondern etwa auch auf Wegen in die Küche zur Nahrungs- oder Getränkeaufnahme sowie zur Toilette bejahen können. Entscheidend ist, ob sich im Einzelfall der Bezug zur beruflichen Tätigkeit nachweisen lässt. Es bleibt abzuwarten, welche Anforderungen die Rechtsprechung künftig hinsichtlich der Darlegung und der Beweisbarkeit einer objektivierten Handlungstendenz für eine betriebsdienliche Tätigkeit aufstellen wird.

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