Bundesarbeitsgericht zu Entgeltgleichheit: Verhandlungsgeschick rechtfertigt ungleiche Bezahlung nicht

Hamburg, 24.02.2023

GleichberechtigungMit Urteil vom 16. Februar 2023 (8 AZR 450/21) (vgl. Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts) hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts die von ihm begonnene Schärfung des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) fortgesetzt. Die Entscheidung könnte zu tiefgreifenden Veränderungen in der Gehaltsfindung sowie den Entgeltstrukturen in deutschen Unternehmen führen.

Ausgangslage und Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Januar 2021

Dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und der deutsche Gesetzgeber insbesondere die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen fördern muss, ergibt sich bereits aus Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 GG.

Bei der Frage der Entgeltgleichheit wird dieser Grundsatz durch die Regelungen des Art. 157 AEUV sowie der § 3 Abs. 1 EntgTranspG und § 7 EntgTranspG konkretisiert. Zwar ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Regelungen zunächst nur ein Verbot von ungleicher Bezahlung wegen des Geschlechts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Dies impliziert nach der Rechtsprechung des EuGHs und BAG jedoch einen unmittelbaren Anspruch von Beschäftigten auf gleiche Bezahlung. Das bedeutet, dass Beschäftigte basierend auf diesen Vorschriften vom Arbeitgeber verlangen können, dasselbe (höhere) Gehalt zu erhalten, das an Beschäftigte eines anderen Geschlechts gezahlt wird.

Bereits mit Urteil vom 21.01.2021 (8 AZR 488/19) führte das BAG dabei aus, dass Beschäftigte, die auf Basis der Art. 157 AEUV und § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG eine solche höhere Vergütung verlangen, ausschließlich darlegen müssen, dass sie (1) eine gleiche oder gleichwertige Arbeit ausüben wie die Vergleichsgruppe des anderen Geschlechts, auf die sie sich beziehen und dass (2) diese Vergleichsgruppe tatsächlich ein höheres Entgelt bezieht als die klagende Person. Dabei kann Letzteres bereits mit dem Verweis auf statistische Mittelwerte, wie dem über den Auskunftsanspruch des EntgTranspG mitgeteilten Medianwertes nachgewiesen werden.

Kann die klagende Person diese Umstände darlegen, wird – unter Anwendung der Beweislastregelung des § 22 AGG – vermutet, dass die unterschiedliche Bezahlung auf einer Diskriminierung wegen des Geschlechts beruht.

Es ist dann Sache des Arbeitgebers zu beweisen, dass die ungünstigere Behandlung ausschließlich auf Gründen außerhalb des Geschlechts beruht. Gelingt dies nicht, liegt eine Diskriminierung wegen des Geschlechts vor und die klagende Person hat Anspruch auf dieselbe Vergütung wie die besser bezahlte Vergleichsgruppe oder Vergleichsperson.

Diese Rechtsprechung hat der Achte Senat nun bestätigt und darüber hinaus klargestellt, dass die Vermutung einer Diskriminierung nicht mit Hinweis auf besseres „Verhandlungsgeschick“ widerlegt werden kann.

Sachverhalt der Entscheidung vom 16. Februar 2023

In der nun ergangenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts klagte eine Arbeitnehmerin, in deren Abteilung (außer ihr) zwei Männer beschäftigt waren. Zumindest einer dieser Männer war mit der klagenden Arbeitnehmerin vergleichbar.

Dieser Kollege war seit dem 1. Januar 2017 bei der Beklagten beschäftigt und erhielt vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Oktober 2017 ein vertragliches Grundgehalt von EUR 4.500,00. Ab dem 1. November 2017 verringerte sich sein Grundgehalt auf EUR 3.500,00, im Juli 2018 erhielt er ein Grundgehalt von EUR 4.000,00 und ab dem 1. August 2018 ein tarifliches Entgelt in Höhe von EUR 4.120,00. Dabei war die Einführung des tariflichen Entgeltes mit einer Deckelungsregelung versehen, die Gehaltserhöhungen auf max. EUR 120,00 pro Jahr begrenzte. Damit beruhte auch das tarifliche Entgelt mittelbar (zunächst) auf der zuvor einzelvertraglich vereinbarten Vergütung.

Die klagende Arbeitnehmerin erhielt seit ihrem Beschäftigungsbeginn am 1. März 2017 zunächst durchgehend ein vertragliches Grundgehalt in Höhe von EUR 3.500,00. Mit Einführung des tariflichen Entgelts erhöhte die beklagte Arbeitgeberin dieses – unter Anwendung der Deckelungsregelung und damit unter Berücksichtigung des zuvor vertraglich vereinbarten Grundgehaltes – auf EUR 3.620,00.

Die Klägerin und ihr männlicher Kollege waren dabei in derselben tariflichen Entgeltgruppe eingruppiert.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht hat in dieser – seit 2017 – geringeren Vergütung eine Diskriminierung der Klägerin wegen ihres Geschlechts erkannt. In Anwendung seiner bisherigen Rechtsprechung hat das BAG dabei aufgrund der tatsächlich geringeren Vergütung der Klägerin vermutet, dass diese wegen ihres Geschlechts benachteiligt wurde. Diese Vermutung konnte die beklagte Arbeitgeberin nicht widerlegen.

Zwar führte die Beklagte an, dass dem besser bezahlten Arbeitnehmer zunächst ebenfalls ein Grundgehalt von EUR 3.500,00 angeboten worden war und der Arbeitnehmer dieses Grundgehalt als zu niedrig abgelehnt hatte. Dieses „bessere Verhandlungsgeschick“ genügte jedoch nicht, um die Vermutung einer Diskriminierung wegen des Geschlechts zu widerlegen. Ebenso ließ es das BAG nicht ausreichen, dass der besser bezahlte Arbeitnehmer eine Stelle nachbesetzte, die zuvor von einer – ebenfalls – besser bezahlten Arbeitnehmerin besetzt war.

Der Klägerin wurden aufgrund der Diskriminierung wegen des Geschlechts im Sinne der Art. 157 AEUV und § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG daher sämtliche Gehaltsdifferenzen zwischen ihr und ihrem männlichen Kollegen seit dem 1. März 2017 sowie eine Entschädigung wegen einer Diskriminierung wegen des Geschlechts in Höhe von EUR 2.000,00 zugesprochen.

Ausblick für die Praxis

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts erleichtert es Beschäftigten, die ein höheres Gehalt gem. Art. 157 AEUV und § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG verlangen, deutlich, diesen Anspruch gerichtlich durchzusetzen. Arbeitgeber werden in Zukunft einen erheblichen Aufwand betreiben müssen, um darzulegen, dass niedrigere Gehälter ausschließlich auf diskriminierungsfreien Umständen beruhen.

Unternehmen dürften daher daran gehalten sein, entweder eine feste Gehaltsstruktur einzuführen, die weder auf Verhandlungen noch auf diskriminierenden Umständen beruht – oder bei tatsächlich unterschiedlicher Bezahlung zwischen den Geschlechtern zumindest zu dokumentieren, welche diskriminierungsfreien Umstände zu den bestehenden Unterschieden geführt haben. Derartige Umstände können nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bspw. relevante Berufserfahrung sein. Des Weiteren dürften aber auch Umstände wie bspw. eine besonders lange Suche nach einer Stellenbesetzung grundsätzlich denkbar sein, um höhere Entgeltzahlungen an den sodann eingestellten Arbeitnehmer zu rechtfertigen. Insoweit bleibt jedoch die weitere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abzuwarten.

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