Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) - Projekte als vergabe- und vertragsrechtliche Herausforderung

Hamburg / Frankfurt a.M., 27.01.2022

KrankenhausMit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) fördern Bund und Länder Investitionen in moderne Notfallkapazitäten und eine bessere digitale Krankenhausinfrastruktur. Hierzu hat der Bund beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) einen Krankenhauszukunftsfonds mit einem Fördermittelvolumen von 3 Mrd. Euro errichtet¹.  Die Länder steuern zusätzlich Fördermittel von insgesamt 1,3 Mrd. Euro bei. § 19 Abs. 1 Nr. 1 bis 11 KHSFV² definiert die verschiedenen Fördertatbestände, die insbesondere der Digitalisierung von Prozessen und Strukturen im Verlauf eines Krankenhausaufenthalts von Patientinnen und Patienten dienen. Hinsichtlich bestimmter förderungsfähiger Digitalisierungsvorhaben gemäß § 19 Abs. 1 KHSFV besteht eine gesetzliche Umsetzungsverpflichtung.

Pflicht zur Anwendung vergaberechtlicher Bestimmungen für Beschaffungsvorhaben nach dem KHZG

Parallele Geltung von „klassischem Vergaberecht“ und Fördermittelvergaberecht

Im Ausgangspunkt bestimmt Ziff. 5.2 der KHZG-Förderrichtlinie³, dass bei der Vergabe von Aufträgen die Vorgaben des nationalen und europäischen Vergaberechts durchgehend zu berücksichtigen sind. Es gelten hierbei die sonst üblichen sowie landesspezifischen Regelungen. Das BAS überweist die Fördermittel in einem ersten Schritt an das beantragende Land. Die Verteilung der Fördermittel obliegt in einem zweiten Schritt dem jeweiligen Bundesland. Die Länder erlassen somit die betreffenden Fördermittelbescheide gegenüber dem Krankenhausträger und leiten die Fördermittel weiter. In den entsprechenden Fördermittelbescheiden werden regelmäßig die landesspezifischen „Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung“ (ANBest-P) zum Bestandteil gemacht und dem jeweiligen Bescheid beigefügt. Die Krankenhausträger haben diese Bestimmungen insofern bei der Verwendung der Fördermittel zu berücksichtigen. Daneben sind die vergaberechtlichen Bindungen aufgrund einer etwaigen Eigenschaft des jeweiligen Krankenhausträgers als öffentlicher Auftraggeber gemäß § 99 GWB zu beachten.

Die Antragsberechtigung der Krankenhausträger gegenüber dem zuständigen Bundesland richtet sich nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG). Demnach konnten im Ausgangspunkt sämtliche Krankenhausträger eine Förderung nach dem KHZG beantragen, sofern sie in den Krankenhausplan eines Landes aufgenommen sind (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 KHG). Im Ergebnis führen die Vorgaben der KHZG-Fördermittelrichtlinie also dazu, dass (auch) private Krankenhausträger an die Vorgaben des nationalen und europäischen Vergaberechts gebunden sein können, soweit sie entsprechende Fördermittelbescheide der Länder gemäß KHZG-Förderrichtlinie erhalten. 

Mit Blick auf die verschiedenen Fördertatbestände gemäß § 19 Abs. 1 KHSFV dürften die Krankenhausträger mitunter eine Vielzahl von IT-Beschaffungen auf fördermittelrechtlicher Grundlage zu bewältigen haben. Insofern sind oberhalb der maßgeblichen EU-Schwellenwerte die einschlägigen Vorschriften des GWB und der VgV zu beachten, unterhalb der Schwellenwerte gelten die landesfördermittelrechtlichen Vorgaben, die häufig zur Anwendung der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) führen. Für länderübergreifend tätige Krankenhausträger ist zu beachten, dass die jeweiligen ANBest-P in unterschiedlichen Ländern mit Blick auf die anwendbaren Vergabevorschriften nicht unerheblich voneinander abweichen können. Darüber hinaus gelten derzeit bestimmte landesspezifische Erleichterungen unterhalb der maßgeblichen Schwellenwerte für Liefer- und Dienstleistungen von 215.000,- Euro aufgrund der pandemiebedingten Sondersituation. Insbesondere sehen einige landesfördermittelrechtliche Bestimmungen insoweit eine vorübergehende Erhöhung der Wertgrenze für die Wahl vereinfachter Verfahrensarten vor, die allerdings mitunter kurzfristig auslaufen können⁴. 

Bestimmung des jeweiligen Beschaffungsgegenstands und Prüfung der Ausschreibungspflicht

Insbesondere: Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV („Es kann nur einer“)

Als Regelverfahren stehen dem Auftraggeber das offene sowie das nicht offene Verfahren zur Verfügung (vgl. § 119 Abs. 2 Satz 1 GWB). Nicht selten können IT-Beschaffungen allerdings unter die Ausnahmetatbestände für ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 3 VgV fallen. Denn häufig können die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers nicht ohne die Anpassung bereits verfügbarer Lösungen erfüllt werden (§ 14 Abs. 3 Nr. 1 VgV – Beispiel: die zu beschaffende Software muss in die IT-Infrastruktur des Auftraggebers eingefügt werden, was individuelle Anpassungsleistungen erfordert). Ebenso kann der Auftrag auch konzeptionelle oder innovative Lösungen umfassen (§ 14 Abs. 3 Nr. 2 VgV – Beispiel: Neuprogrammierung von Software bzw. Konzeption komplexer IT-Systeme) oder aufgrund der Komplexität nicht ohne vorherige Verhandlungen vergeben werden (§ 14 Abs. 3 Nr. 3 VgV – Beispiel: der Auftraggeber ist aufgrund von Schnittstellenrisiken zwingend darauf angewiesen, Bieter zu bestimmten Aspekten der Angebote zu befragen).

Unter besonders engen Voraussetzungen dürfen öffentliche Aufträge ausnahmsweise auch im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben werden, z.B., weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist (vgl. § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV). Diese Konstellation kann bei produktspezifischen Vorgaben einschlägig sein, insbesondere, wenn beispielsweise die Erweiterung eines bestehenden Krankenhausinformationssystems (KIS) zweckmäßig erscheint. Sollen einzelne Module für das System eines bestimmten Herstellers zugekauft werden, kann eine Direktvergabe in Betracht kommen („Es kann nur einer“). Insoweit besteht aber ein Spannungsverhältnis zur Vorschrift des § 31 Abs. 6 VgV, die grundsätzlich verbietet, in der Leistungsbeschreibung auf ein bestimmtes Produkt zu verweisen. Das Gebot der Produktneutralität soll eine hinreichende Wettbewerbsoffenheit der jeweiligen Beschaffung bewirken. Unzulässig sind insoweit auch „verdeckte Produktvorgaben“, die de facto keine andere Möglichkeit belassen, als ein bestimmtes Produkt anzubieten⁵. 

Von dem Leitbild der produktneutralen Ausschreibung darf jedoch abgewichen werden, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist. Der Auftraggeber muss insoweit nachvollziehbare auftragsbezogene Gründe angeben und darlegen, dass die Bestimmung willkürfrei getroffen wurde⁶.  Hierfür muss der Auftraggeber einen guten Marktüberblick haben, um seinen internen Beschaffungsbedarf hinreichend präzise darlegen zu können. Im Ausgangspunkt zwingt das Vergaberecht den Krankenhausträger nicht, zur Ermöglichung eines größeren Wettbewerbs seine einmal getroffene Entscheidung für ein bestimmtes System wieder aufzugeben. Das Vergaberecht beschränkt den Auftraggeber nämlich nicht in seiner Beschaffungsautonomie, sondern regelt lediglich das „Wie“ der Beschaffung. Die Rechtsprechung erkennt insbesondere technische oder wirtschaftliche Gesichtspunkte zur Rechtfertigung einer Produktvorgabe an. Technische Gründe können etwa in Kompatibilitätsproblemen eines speziellen Verschlüsselungsnetzes bzw. fehlender Erprobung eines „Mischsystems“ bestehen; wirtschaftliche Gründe in einem erheblichen finanziellen Mehraufwand auf Seiten des Betreibers bei Einführung eines zusätzlichen Systems⁷. Die Rechtsprechung fordert dem Auftraggeber insoweit ab, die betreffenden Gründe hinreichend zu ermitteln sowie nachvollziehbar in der Vergabedokumentation festzuhalten.

Anforderungen an die Dokumentation

Ohnehin sollte aus fördermittelrechtlicher Sicht besonderer Wert auf eine sorgfältige verfahrensbegleitende Dokumentation gelegt werden, die in einem Vergabevermerk gemäß § 8 VgV niederzulegen ist. Anders als beim fristgebundenen vergaberechtlichen Primärrechtsschutz stellt sich die Frage etwaiger Rückforderung von Fördermitteln regelmäßig erst im Rahmen der Prüfung des Verwendungsnachweises. Diese kann noch mehrere Jahre nach der Gewährung der Zuwendung erfolgen. Die einschlägigen Richtlinien der Finanzministerien sehen bei schweren Verstößen gegen die Vergabeordnungen die Rückforderung von Zuwendungen bzw. eine Neufestsetzung (Kürzung) der Zuwendung vor. Nicht entscheidend ist insofern, ob der Fördermittelempfänger schuldhaft gehandelt hat. Eine besonders sorgfältige Dokumentation aller wesentlichen vergaberechtlichen Entscheidungen des Fördermittelempfängers erscheint vor diesem Hintergrund dringend geboten.

Anspruchsvoller Zeitrahmen gemäß KHZG für die Vergabe- und Vertragspraxis

Beschaffungsvorhaben nach dem KHZG erfordern eine „vergaberechtliche Projektsteuerung“

Der Zeitplan für die Umsetzung der nach dem KHZG geförderten Beschaffungsvorhaben ist durchaus anspruchsvoll. Gemäß Ziff. 4.1 der KHZG-Förderrichtlinie wird davon ausgegangen, dass geförderte Vorhaben bis spätestens zum 31. Dezember 2024 abgeschlossen sind. Zusätzlich droht nach § 5 Abs. 3h KHEntgG ab dem 1. Januar 2025 ein Abschlag i.H.v. bis zu zwei Prozent des Rechnungsbetrags für jeden voll- und teilstationären Fall, sofern ein Krankenhaus die in § 19 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 KHSFV aufgezählten (förderfähigen) digitalen Dienste nicht bereitstellt.

Der Krankenhausträger muss im Vorfeld der Ausschreibung seinen Beschaffungsbedarf ermitteln. Dabei ist nicht nur eine gründliche Analyse des eigenen Bedarfs gefordert, sondern auch ein hinreichender Überblick, welche Produkte und Systeme am Markt angeboten werden. Mit Blick auf die geförderten Vorhaben ist zu prüfen, wie sich der konkrete Auftragsgegenstand aus vergaberechtlicher Sicht bestimmt. Was zu dem Auftrag gehört, ist anhand einer funktionalen Betrachtungsweise zu ermitteln. Bevor eine Aufteilung in verschiedene Aufträge erfolgen darf, sind organisatorische, inhaltliche, wirtschaftliche und technische Zusammenhänge zu berücksichtigen und angemessen zu dokumentieren⁸.  Dabei wird dem Auftraggeber ein Ermessensspielraum bzgl. der Bestimmung des jeweiligen Beschaffungsvorhabens eingeräumt. In jedem Fall verbietet § 3 Abs. 2 VgV aber eine Unterteilung des Beschaffungsbedarfs, die zu einer Umgehung der Vorschriften des Vergaberechts führt.

Für nicht wenige Krankenhausträger dürfte die Bedarfsermittlung ergeben, dass eine Vielzahl von Liefer- und Dienstleistungen im Wege förmlicher Vergabeverfahren zu beschaffen sind (z.B. Hardware, Softwarelizenzen, KIS-Module, Wartungsdienstleistungen). Angesichts der Projektfülle ist vom jeweiligen Krankenhausträger somit eine sachgerechte vergaberechtliche Projektsteuerung gefordert, die im Ergebnis eine rechtssichere Konzeption und Durchführung sämtlicher Vergabeverfahren innerhalb eines anspruchsvollen Zeitrahmens sicherstellt. Insofern dürften nicht zuletzt strategische Aspekte eine gewichtige Rolle spielen, etwa im Hinblick auf eine sachgerechte Priorisierung der einzelnen Vorhaben und eine drohende „Überhitzung“ des Marktes auf der Anbieterseite. In bestimmten Konstellationen kann über die Bildung vergaberechtlich zweckmäßiger „Cluster“ nachgedacht werden, in einigen Fällen (bei Klinikverbünden) ggfs. auch häuserübergreifend.

Die Vergabepraxis bzgl. der Durchführung aller betreffenden Verfahren von der Konzeption bis zum Zuschlag dürfte nicht unerhebliche Ressourcen des jeweiligen Fördermittelempfängers in Anspruch nehmen. Besondere Sorgfalt sollte insofern auf die Erstellung der Leistungsbeschreibung als „Kernstück der Vergabeunterlagen“ verwendet werden. Der Auftragsgegenstand ist so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben (vgl. § 121 GWB). Insoweit sollte möglichst auf die Konzeption sämtlicher Vergabeunterlagen „aus einer Hand“ geachtet werden, um im hochkomplexen Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie von vornherein etwaige Schnittstellenprobleme zu vermeiden.

Insbesondere erscheint eine sachgerechte Auswahl der für die jeweilige Beschaffung benötigten IT-Verträge zentral. Zurückgegriffen werden kann dabei auf die EVB-IT Vertragsmuster des Bundesministeriums des Innern, die von Vertretern der öffentlichen Hand und der IT-Wirtschaft ausgehandelt wurden und über die Jahre zunehmend an Akzeptanz gewonnen haben. Welches konkrete EVB-IT Vertragsmuster – oder ggfs. auch ein Individualvertrag – gewählt werden soll, wird stark durch vom konkreten Zuschnitt des jeweiligen Vorhabens und den damit verbundenen Anforderungen bzgl. des Projektablaufs abhängen. Angesichts der Komplexität sowie der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Vertragsmuster verbleiben bei deren praktischer Anwendung nicht selten gewisse Restunsicherheiten. Dies gilt umso mehr, als dass der jeweils geschlossene Vertrag in den Folgejahren „gelebt“ werden muss und ihm daher eine besondere Bedeutung zukommt. Neben den einschlägigen Aspekten des IT-Vertragsrechts sollten Krankenhausträger auch die datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen für die Verarbeitung von Patientendaten im Blick behalten, insbesondere bei der Beschaffung von Cloudbasierten Lösungen. Gerade bei diesen Lösungen können in den Landesgesetzen Restriktionen enthalten sein.

Es bleibt festzuhalten, dass die Krankenhausträger als Fördermittelempfänger nicht zuletzt vergaberechtliche Herausforderungen bei der gemäß KHZG geförderten Modernisierung der Krankenhausinfrastruktur zu bewältigen haben. Da aus fördermittelrechtlicher Sicht ein Widerruf bzw. eine Kürzung der Zuwendungen droht, erscheint die Beachtung des Vergaberechts als wesentliche Voraussetzung für die nachhaltige Realisierung von KHZG-Projekten.

 

  1. Vgl. § 14a KHG betreffend die Einrichtung eines Krankenhauszukunftsfonds beim Bundesamt für Soziale Sicherung.
  2. Krankenhausstrukturfonds-Verordnung vom 17. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2350), die zuletzt durch Artikel 2b des Gesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3299) geändert worden ist.
  3. Siehe Bundesamt für Soziale Sicherung, „Richtlinie zur Förderung von Vorhaben zur Digitalisierung der Prozesse und Strukturen im Verlauf eines Krankenhausaufenthaltes von Patientinnen und Patienten nach § 21 Absatz 2 KHSFV“, Stand: 03.05.2021.
  4. Siehe etwa Ziff 1.9. der VVöA Bayern (Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung über die Verwaltungsvorschrift zum öffentlichen Auftragswesen vom 24. März 2020 – Az. B II 2 -G17/17 – 2 (BayMBl. Nr. 155), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 6. Dezember 2020.
  5. Vgl. OLG München, Beschl. v. 26.03.2020 – Verg 22/19.
  6. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.10.2019 – VII-Verg 66/18.
  7. Siehe OLG Celle, Beschl. v. 31.03.2020 – 13 Verg 13/19.                                                                     
  8. OLG Schleswig, Beschl. v. 07.01.2021 – 54 Verg 6/20.

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