EuGH: Einbeziehung von Provisionen in das Urlaubsentgelt?

30.07.2014

Leitsatz

Bezieht ein Verkaufsberater neben seinem Grundgehalt eine Provision, deren Höhe sich nach der Zahl der aufgrund seiner persönlichen Tätigkeit zustande gekommenen Verkaufsabschlüsse bemisst, muss diese Provision bei der Berechnung des während des bezahlten Jahresurlaubs zu leistenden Urlaubsentgelts berücksichtigt werden. Das Urlaubsentgelt darf in solchen Fällen nicht auf das Grundgehalt beschränkt sein, selbst wenn die Verringerung der Vergütung tatsächlich erst nach dem Jahresurlaub eintritt.
 
(EuGH, Urteil vom 22. Mai 2014 - C-539/12)

Sachverhalt

Der britische Kläger des Ausgangsverfahrens ist seit dem Jahr 2010 bei „British Gas“ im Innendienst als Verkaufsberater in der Energiesparte beschäftigt. Seine Aufgabe ist es, Geschäftskunden zum Erwerb der Energieprodukte seines Arbeitgebers zu gewinnen. Dabei setzt sich sein Arbeitsentgelt aus zwei Hauptkomponenten zusammen: Neben einem monatlichen Grundgehalt von zur maßgeblichen Zeit GBP 1.222,50 wird dem Kläger monatlich eine variable Provision ausgezahlt, die sich nach den tatsächlich erzielten Verkäufen bemisst und somit nicht von der aufgewendeten Arbeitszeit, sondern vielmehr von dem Ergebnis seiner Beratungsarbeit in Form von neu geschlossenen Verträgen abhängt. Dabei wird die Provision stets rückwirkend mehrere Wochen oder Monate nach Abschluss des jeweiligen Kaufvertrags zwischen „British Gas“ und dem Kunden ausgekehrt. Im Jahr 2011 bezog der Kläger auf diese Weise eine monatliche Provision in Höhe von durchschnittlich GBP 1.912,67.

In der Zeit vom 19. Dezember 2011 bis zum 3. Januar 2012 befand sich der Kläger in bezahltem Jahresurlaub. Da er in diesem Zeitraum von ca. zwei Wochen keine Arbeit verrichtete, konnte er weder neue Verkäufe tätigen noch mögliche Verkäufe weiterverfolgen, so dass er keine Provision verdienen konnte. Dies wirkte sich dementsprechend nachteilig auf die Gehälter der Folgemonate aus, in denen der Kläger im Wesentlichen nur ein auf sein Grundgehalt reduziertes Arbeitsentgelt erhielt. Da der Kläger diesen Umstand nicht hinnehmen wollte, erhob er vor einem britischen Arbeitsgericht Klage auf Nachzahlung des Entgeltteils für bezahlten Jahresurlaub ("holiday pay"), der ihm seines Erachtens für die Zeit vom 19. Dezember 2011 bis zum 3. Januar 2012 zustand. Das angerufene Gericht setzte daraufhin das Verfahren aus, rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an und fragte, ob und inwiefern unter den Umständen des vorliegenden Falles die Provision, die ein Arbeitnehmer während seines Jahresurlaubs verdient hätte, bei der Berechnung des Urlaubsentgelts berücksichtigt werden müsse.

Entscheidung

Der EuGH hat diese Frage bejaht. Bei der Inanspruchnahme bezahlten Jahresurlaubs müsse gewährleistet sein, dass das Arbeitsentgelt für die Dauer des Urlaubs weitergewährt werde, der Arbeitnehmer mithin für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalte. Durch die Zahlung des Urlaubsentgelts solle der Arbeitnehmer schließlich während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar sei. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Arbeitnehmer aufgrund der finanziellen Nachteile, die er infolge des Jahresurlaubs erleiden würde, davon absehe, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich geltend zu machen.

Diesen Grundsätzen widerspreche es, so der EuGH in seiner Begründung, wenn ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsentgelt sich - wie im Ausgangsfall - aus einem Grundgehalt und einer erfolgsabhängigen Provision zusammensetze, hinsichtlich seines bezahlten Jahresurlaubs nur Anspruch auf ein Arbeitsentgelt habe, das ausschließlich aus seinem Grundgehalt bestehe. Zwar habe der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens für die Zeit seines Jahresurlaubs aufgrund der zuvor herbeigeführten Vertragsschlüsse noch ein Entgelt erhalten, welches dem in den Zeiten, in denen er arbeitete, vergleichbar sei. Die tatsächlichen finanziellen Einbußen infolge des Jahresurlaubs seien jedoch in der Folgezeit eingetreten. Dieser Umstand der hinausgeschobenen Verringerung des Arbeitsentgelts führe aber ebenso zu einer unangemessenen Benachteiligung wie Reduzierungen unmittelbar im Zeitraum des Jahresurlaubs. Daher dürfe auch in dieser Konstellation das Urlaubsentgelt nicht auf das Grundgehalt beschränkt sein.
Ob im Einzelfall die Einbeziehung der Provision in angemessener Weise von Seiten des Arbeitgebers bei der Bemessung des Urlaubsentgelts erfolgt sei, sei von den nationalen Gerichten unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH zu prüfen.  

Anmerkung

Der EuGH stärkt mit diesem Urteil die Rechte von Arbeitnehmern, die einen erheblichen Teil ihres Monatsgehalts über Provisionen für die Vermittlung erfolgreicher Vertragsschlüsse beziehen. Dem liegt zu Recht die Vermutung zugrunde, dass solche Arbeitnehmer gegebenenfalls auf ihren Urlaubsanspruch verzichten würden, wenn sie in der Zeit während des Urlaubs erhebliche finanzielle Einbußen hinzunehmen hätten. Daher muss der Arbeitnehmer auch in diesem Zeitraum Anspruch auf Provisionszahlung haben, wobei die Entscheidung über deren Höhe Sache des Arbeitgebers bzw. - im Streitfall - des nationalen Gerichts ist.

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG bemisst sich die Höhe des Urlaubsentgelts nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst der letzten 13 Wochen vor Urlaubsbeginn. Als "Arbeitsverdienst" in diesem Sinne gelten alle Vergütungsbestandteile, die der Arbeitnehmer im Referenzzeitraum als Gegenleistung für seine Tätigkeit in den maßgeblichen Abrechnungszeiträumen erhalten hat (BAG, Urteil vom 17. Januar 1991 - 8 AZR 644/89, NZA 1991, 778). Nach der Rechtsprechung des BAG kann für Provisionen, die für von dem Arbeitnehmer getätigte Abschlüsse gezahlt werden, kein Zweifel bestehen, dass diese zu den während des Urlaubs weiter zu zahlenden Entgeltbestandteilen i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG zählen (BAG, Urteil vom 19. September 1985 - 6 AZR 460/83, NZA 1986, 471). Diese sollen mithin im Gegensatz zu einmaligen Prämien bei der Berechnung des Urlaubsentgelts berücksichtigt werden. Dementsprechend bestärkt das Urteil des EuGH die ohnehin schon ständige höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutsch-land.

Bei der Berechnung des Urlaubsentgelts ist in diesen Fällen danach zu fragen, welche provisionspflichtigen Geschäfte der Arbeitnehmer in der Zeit seiner Urlaubsabwesenheit hätte abschließen können bzw. welche zeitlichen Verzögerungen bei den Abschlüssen urlaubsbedingt eingetreten sind. Der Arbeitgeber wird in diesem Zusammenhang nach Maßgabe der in der Vergangenheit erzielten Provisionen die Höhe der neben dem Fixum anfallenden regelmäßig wiederkehrenden Vergütungen schätzen müssen. Hierbei muss er den Durchschnittsverdienst in einem längeren Referenzzeitraum ermitteln, der gegebenenfalls länger als 13 Wochen zu bemessen ist.

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