Weiterhin Berechnung des Schadens nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten im Kaufrecht – keine Angleichung an das Werkvertragsrecht

Frankfurt am Main, 05.10.2021

Fiktive Mängelbeseitigungskosten im Kaufrecht

Der nachfolgende Beitrag bespricht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12. März 2021, Az.: V ZR 33/19, mit welcher der Bundesgerichtshof für das Kaufrecht – anders als im Werkvertragsrecht – weiterhin den Schadensersatz anhand der fiktiven Mängelbeseitigungskosten berechnet.

Einführung

Seitdem der Bundesgerichtshof (Entscheidung vom 22. Februar 2018, Az.: VII ZR 46/17) für das Werkvertragsrecht entschieden hat, dass Schadensersatzansprüche statt der Leistung nach § 634 Nr. 4, 280, 281 BGB nicht mehr nach Maßgabe der fiktiven Mängelbeseitigungskosten berechnet werden können, wurde in der Literatur und der Rechtsprechung intensiv über die möglichen Auswirkungen dieser Entscheidung auf das Kaufrecht diskutiert. Der für das Kaufrecht zuständige V. Senat des Bundesgerichtshofs hatte sich bisher immer an der Rechtsprechung des für das Werkvertragsrecht zuständigen VII. Senats orientiert, sodass zwischen dem Kauf- und dem Werkvertragsrecht weitestgehend ein Gleichlauf bestand. 

Da der VII. Senat seine Rechtsprechungsänderung aber ausdrücklich mit den Besonderheiten des Werkvertragsrechts begründet hatte, wurde nun mit Spannung erwartet, ob die weiteren Senate des Bundesgerichtshofs ihre Methoden zur Schadensberechnung auch anpassen würden.

Mit seiner Entscheidung vom 12. März 2021 (Az.: V ZR 33/19) hat der Bundesgerichtshof nunmehr klargestellt, dass im Kaufrecht die Berechnung des Schadens nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten trotz der damit verbundenen Abweichung zum Werkvertragsrecht weiterhin möglich bleibt. Damit kann der Verkäufer einer Immobilie bei Mängeln weiterhin auf die fiktiven Mängelbeseitigungskosten in Anspruch genommen werden.

Was war passiert?

In dem vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall erwarben die Kläger von dem Beklagten eine Eigentumswohnung zum Preis von EUR 79.800,00 unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. Die Parteien vereinbarten aber gleichzeitig, dass der Verkäufer, sollte sich an der Schlafzimmerwand – wie in der Vergangenheit bereits häufiger geschehen – bis zum Ende des Jahres 2015 Feuchtigkeit bilden, den hierdurch entstehenden Schaden auf seine Kosten zu beseitigen habe. Tatsächlich trat Ende 2014 Feuchtigkeit an der besagten Stelle auf, zu deren Beseitigung die Kläger den Beklagten erfolglos unter Fristsetzung aufforderten. Die Kläger machten mit ihrer Klage erfolgreich die Zahlung der voraussichtlichen (das heißt fiktiven) Mängelbeseitigungskosten ohne Umsatzsteuer geltend, ohne den Schaden tatsächlich zu beseitigen.

Die Entscheidung des Gerichts

Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidungen des Land- und des Oberlandesgerichts, die die Abrechnung anhand der fiktiven Mängelbeseitigungskosten zugelassen hatten.

Im Kaufrecht könne der Käufer im Rahmen des kleinen Schadensersatzes entweder Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts oder Ersatz der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten verlangen. Damit ist im Kaufrecht eine Abrechnung auf Gutachtenbasis weiterhin möglich, während im Werkvertragsrecht der Schadensersatzanspruch in seiner Höhe nach der Differenz zwischen dem hypothetischen Wert des Werks ohne Mängel und dem tatsächlichen Wert des Werks mit Mängeln im Rahmen einer Vermögensbilanz ermittelt werden muss. 

Die unterschiedliche Handhabung des Schadensersatzes im Kauf- und Werkvertragsrecht begründet der Bundesgerichtshof mit den Besonderheiten des Werkvertragsrechts, die auf das Kaufrecht nicht übertragbar seien. Denn das Kaufrecht kennt kein mit einem Vorschussanspruch verbundenes Selbstvornahmerecht, wie es in § 637 BGB für das Werkvertragsrecht existiert. Die Möglichkeit, dass der Käufer vor der Durchführung der Mängelbeseitigung den Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts verlangen könne, sei keine hinreichende Kompensation dafür, dem Käufer das Vorfinanzierungsrisiko der Mängelbeseitigung aufzubürden. Denn dieser mangelbedingte Minderwert lasse sich nur schwer beziffern und eine (zulässige) Schätzung liege oftmals unter den Mängelbeseitigungskosten, sodass eine Vorleistungspflicht auch in diesem Falle bestünde. 

Anders als im Werkvertragsrecht, sei für das Kaufrecht nicht erkennbar, dass die bisherige Rechtsprechung zu unangemessenen Ergebnissen führe, die eine Rechtsprechungsänderung auch im Kaufrecht erforderlich machen würde. 

Ein weiterer Unterschied liege darin, dass es im Kaufrecht auch keine Gefahr der „Überkompensation“ gebe, weil der Nacherfüllungsanspruch im Kaufrecht strenger begrenzt ist als derjenige im Werkvertragsrecht. Wenn die Unverhältnismäßigkeitsschwelle hier erreicht ist – das nimmt die Rechtsprechung dann an, wenn der mangelbedingte Minderwert um 200 Prozent überschritten wird –, wird der Schadensersatzanspruch auf den Ersatz des mangelbedingten Minderwerts begrenzt.

Hingegen habe der VII. Senat die Abkehr von einer Abrechnung anhand von fiktiven Mängelbeseitigungskosten mit weiteren Besonderheiten des Werkvertragsrechts begründet: Zentraler Unterschied zwischen Werkvertrags- und Kaufrecht sei, dass im Werkvertragsrecht individuelle Leistungsbeschreibungen eine viel größere Bedeutung haben als im Kaufrecht, was dazu führe, dass der Besteller mit Abweichungen von der vereinbarten Beschaffenheit viel eher „leben könne“ als der Käufer. Daher gebe es im Werkvertragsrecht einen (Fehl-)Anreiz, einen Mangel nicht zu beseitigen, aber die ggf. hohen Mängelbeseitigungskosten zu vereinnahmen. Das gelte erst recht vor dem Hintergrund, dass an die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung nach § 635 Abs. 3 BGB strengere Anforderungen als im Kaufrecht gestellt werden und es keine vergleichbare Begrenzung auf den mangelbedingten Minderwert gibt wie im Kaufrecht. Denn je strenger die Anforderungen an die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung ausgestaltet werden, desto höher können die Mängelbeseitigungskosten ausfallen und desto größer wird das Problem der schadensersatzrechtlichen Überkompensation durch eine von der Durchführung der Mängelbeseitigung losgelöste Ersatzfähigkeit der Mängelbeseitigungskosten. Das gilt insbesondere bei solchen Mängeln, die der Besteller nicht beseitigen lassen wird.
Diese Unterschiede in den gesetzlichen Regelungen zum Kauf- und Werkvertragsrecht seien geeignet, auch Unterschiede in der Art und Weise der Schadensbemessung zu rechtfertigen.

Bewertung und Relevanz für die Praxis

Es ist zu begrüßen, dass die seit der Rechtsprechungsänderung im Werkvertragsrecht offene Frage, wie der Schadensersatz im Kaufrecht zu berechnen ist, nun endlich geklärt ist. Durch die unterschiedlichen Rechtsfolgen kommt der – in der Praxis besonders beim Erwerb noch relativ neuer Immobilien auftretenden – Abgrenzung zwischen Bau- und Kaufvertrag nunmehr eine noch größere Bedeutung zu.

Trotz der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist davon auszugehen, dass die Zulässigkeit der fiktiven Schadensberechnung die Literatur und Rechtsprechung noch weiter beschäftigen wird. Denn die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die fiktive Schadensberechnung nur im Werkvertragsrecht zu verbieten, trifft nicht bei allen Instanzgerichten auf Zustimmung. So hat sich beispielsweise das LG Darmstadt in bewusstem Widerspruch hierzu dafür ausgesprochen, die fiktive Schadensberechnung nicht nur im Werkvertrags- und im Kaufrecht aufzugeben, sondern grundsätzlich bei „Schadensersatzansprüche[n] jedweder Art, gleich, ob sie auf vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnissen […] beruhen“ (Urteil vom 17. Juni 2021, Az.: 23 O 572/20).

Ob und in welchem Umfang die Schadensberechnung in anderen Rechtsgebieten, zum Beispiel bei deliktischen Ansprüchen, fiktiv erfolgen darf, lässt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs offen. Es bleibt daher abzuwarten, ob der Bundesgerichtshof an seiner jetzigen Linie dauerhaft festhalten und die Zulässigkeit der fiktiven Schadensberechnung in anderen Rechtsgebieten höchst-richterlich geklärt werden wird.

Autorinnen: Dr. Ulla Reuter, Johanna Ott

 

 

Newsletter: Neues aus dem Immobilienwirtschaftsrecht 02/2021

Dieser Beitrag ist Teil der Ausgabe 02/2021 unseres Newsletters Immobilienwirtschaftsrecht, mit dem wir Sie regelmäßig mit aktuellen Informationen und Erläuterungen zu interessanten Entwicklungen versorgen.

Die aktuelle Ausgabe befasst sich mit folgenden Themen: 

  1. Die Grunderwerbsteuer nach der Reform 2021: Wie funktionieren Share Deals nach den verschärften Regelungen? [hier mehr dazu]
  2. Weiterhin Berechnung des Schadens nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten im Kaufrecht – keine Angleichung an das Werkvertragsrecht [hier mehr dazu]
  3. Die Ausübung von Dienstbarkeiten gegen Zahlung eines Entgelts am Beispiel von Stellplatzdienstbarkeiten – Neuigkeiten vom BGH [hier mehr dazu]
  4. Notwegerecht trotz Blockierung durch selbst herbeigeführte Bebauung eines Nachbargrundstücks [hier mehr dazu]
  5. Grundstücksgeschäfte der öffentlichen Hand: Vergaberechtsfreier Mietvertrag oder vergaberechtsrelevanter Bauauftrag? [hier mehr dazu]

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