Die Einführung der e-Vergabe im neuen EU-Vergaberecht

08.05.2014

Einführung

Das europäische Vergaberecht ist durch den Beschluss und die Veröffentlichung von drei neuen Richtlinien („RL“) jüngst modernisiert worden. Hierzu hatten wir Sie mit einem Legal Update bereits im April 2014 informiert.

In diesem Legal Update möchten wir Sie mit der e- Vergabe über einen speziellen Aspekt der neuen Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe (RL 2014/24/EU, ABl. L 94/65 vom 28.03.2014) informieren. Diese Richtlinie ist bis zum 18.04.2016 in nationales Recht umzusetzen. Für die e-Vergabe gelten nicht zuletzt hinsichtlich der Umsetzungsfristen einige Besonderheiten, so dass eine vollständige Umsetzung nicht bis zum 18.04.2016 erforderlich ist.

Über die e-Vergabe

Überblick

Unter der e-Vergabe versteht man die (vollständig) elektronische Durchführung von Vergabeverfahren bei der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen. Unter Zuhilfenahme einer „Vergabeplattform“ werden sämtliche Verfahrensschritte von Auftraggeber und Bieter elektronisch vorgenommen, so z.B. die Er- und Bereitstellung der Vergabeunterlagen, die Kommunikation mit den Bietern, die elektronische Angebotserstellung und -abgabe, die Angebotsöffnung sowie die Prüfung und Wertung der Angebote und die Zuschlagserteilung.

Bislang werden nur einzelne Abschnitte von Vergabeverfahren elektronisch durchgeführt, so z.B. die Veröffentlichung von Bekanntmachungen über www.bund.de (vgl. § 12 Abs. 1 S. 2 VOL/A) oder SIMAP/TED (vgl. § 15 EG Abs. 2 S. 1 VOL/A).

Während die e-Vergabe ansonsten bislang nur als optionale Regelung ausgestaltet war, ist sie nunmehr in Art. 22 der RL 2014/24/EU verbindlich vorgeschrieben. Allerdings existiert für sie eine längere Umsetzungsfrist. Die e-Vergabe soll erst spätestens 30 Monate nach Ablauf der Umsetzungsfrist der RL 2014/24/EU der Grundsatz sein (also ab Mitte Oktober 2018).

Pflicht zur e-Vergabe

Die Pflicht zur Umsetzung der e-Vergabe findet sich vor allem in den Art. 22, 35 und 36 der RL 2014/24/EU. Die e-Vergabe hat das Ziel, eine erhebliche Vereinfachung der Vergabe unter gleichzeitiger Steigerung von Effizienz und Transparenz zu gewährleisten (vgl. Erwägungsgrund 52 der RL 2014/24/EU).

Inhalt der e-Vergabe

Mit der e-Vergabe wird die elektronische Er- und unentgeltliche Bereitstellung der Vergabeunterlagen, die elektronische Angebotsübermittlung, die Nachforderung oder Aufklärung im Zusammenhang mit Angeboten, die Zuschlagserteilung, die Übersendung von Mitteilungen nach § 101a GWB und die (externe) elektronische Kommunikation (z.B. Bieterfragen) verpflichtend. Nicht verpflichtend wird jedoch die elektronische Verarbeitung oder Bewertung von Angeboten.

Die für die elektronische Kommunikation zu verwendenden Instrumente und Vorrichtungen sowie ihre technischen Merkmale müssen nichtdiskriminierend und allgemein verfügbar sein. Sofern dies ausnahmsweise nicht möglich sein sollte, müssen alternative Zugänge angeboten werden (Art. 22 Abs. 1, 5 RL 2014/24/EU).

Ab dem Tag der Veröffentlichung der Bekanntmachung ist ein unentgeltlicher und vollständiger direkter elektronischer Zugang zu den Vergabeunterlagen über eine Vergabeplattform zu gewähren (Art. 53 RL 2014/24/EU). Ausnahmen aufgrund von technischen Besonderheiten sollen nur im Einzelfall möglich sein. Hinsichtlich einheitlicher technischer Standards wird die EU-Kommission noch Regelungen erlassen. Eine Ermächtigung hierfür enthält Art. 22 Abs. 7 der RL 2014/24/EU.

Eine mündliche Kommunikation zwischen Auftraggeber und Bietern bleibt weiterhin möglich, sofern sie keine wesentlichen Bestandteile des Vergabeverfahrens betrifft und ausreichend dokumentiert wird (vgl. Art. 22 Abs. 2 der RL 2014/24/EU). Über mündlich geführte Kommunikation mit Bietern ist also ein Vergabevermerk anzufertigen.

Technische Voraussetzungen

Aller Voraussicht nach wird für die elektronische Angebotsabgabe eine „fortgeschrittene elektronische Signatur“ oder eine „qualifizierte elektronische Signatur“ nach dem Signaturgesetz und der Signaturverordnung erforderlich sein. Art. 22 Abs. 6 sowie Anhang IV der RL 2014/24/EU dokumentieren zahlreiche Anforderungen an Instrumente und Vorrichtungen für die elektronische Entgegennahme von Angeboten und erwähnen dabei ausdrücklich die elektronische Signatur.

Die elektronische Signatur würde als Ersatz für die Unterschrift des Bieters fungieren. Entsprechende Regelungen existieren heute bereits in § 16 EG VOL/A bzw. § 13 EG Abs. 1 VOB/A. Der Vertragsschluss würde also – nach jetzigem Stand – über § 126b BGB erfolgen. Das Verwaltungsrecht kennt eine Parallele in § 3a VwVfG.

Ausnahmen von der e-Vergabe

Ausnahmen von der Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel sollen in Zukunft nur teilweise möglich sein, insbesondere bei besonders schutzwürdigen, sensiblen Daten oder bei speziellen technischen Voraussetzungen. Spezielle technische Voraussetzungen liegen vor, wenn spezielle Bürogeräte oder Software erforderlich sind. Darüber hinaus ist das Tatbestandsmerkmal erfüllt, wenn die Vorlage physischer oder maßstabsgetreuer Modelle, die nicht elektronisch vorgelegt werden können, notwendiger Gegenstand des Vergabeverfahrens sind. Die Begründung der Ausnahmen ist sodann jedoch in einem Vergabevermerk festzuhalten (Art. 22 Abs. 1, Art. 53 RL 2014/24/EU).

Dynamisches Beschaffungssystem

Öffentliche Auftraggeber können ihre Aufträge über marktübliche Lieferungen bzw. Leistungen gemäß Art. 34 RL 2014/24/EU über ein dynamisches Beschaffungssystem vergeben, sofern sie die Regelungen des nichtoffenen Verfahrens beachten (Art. 34 Abs. 2 RL 2014/24/EU). Beim dynamischen Beschaffungssystem handelt es sich um ein vollelektronisches Verfahren, das während seiner Gültigkeitsdauer jedem Wirtschaftsteilnehmer offen steht, der die Eignungskriterien erfüllt. Die öffentlichen Auftraggeber fordern sodann die zugelassenen Teilnehmer auf, ein Angebot für jede einzelne Auftragsvergabe über das dynamische Beschaffungssystem zu unterbreiten („Abrufbeschaffung“, Art. 34 Abs. 6 RL 2014/24/EU). Das dynamische Beschaffungssystem Dienstleistungen untergliedert werden, die anhand von Merkmalen der vorgesehenen Beschaffung in der betreffenden Kategorie objektiv definiert werden. Diese Merkmale können eine Bezugnahme auf den höchstzulässigen Umfang späterer konkreter Aufträge oder auf ein spezifisches geografisches Gebiet, in dem spätere konkrete Aufträge auszuführen sind, enthalten (Art. 34 Abs. 1 RL 2014/24/EU).

Elektronische Auktion

Art. 35 RL 2014/24/EU regelt, dass öffentliche Auftraggeber auch auf elektronische Auktionen zurückgreifen können, bei denen neue, nach unten korrigierte Preise und/oder neue, auf bestimmte Komponenten der Angebote abstellende Werte in einer vorher festgelegten Anzahl von Auktionsphasen vorgelegt werden. Ein automatisches Bewertungssystem ermittelt die Rangfolge der abgegebenen Angebote (Art. 35 Abs. 1 RL 2014/24/EU). Während des laufenden Verfahrens erhalten die Bieter Informationen über ihren Rang, um ihr Angebot bis zum Ende der Auktionsphasen noch nachbessern zu können (Art. 35 Abs. 7 RL 2014/24/EU). Die elektronische Auktion kann beim offenen, beim nichtoffenen und beim Verhandlungsverfahren angewendet werden (Art. 35 Abs. 2 RL 2014/24/EU). Von der elektronischen Auktion ausgenommen sind somit die übrigen Vergabeverfahren. Ebenfalls ausgenommen sind Gegenstände, die nicht automatisch bewertet werden können, wie z.B. intellektuelle Leistungen bei öffentlichen Bauaufträgen oder Dienstleistungsaufträgen.

Elektronischer Katalog

Neben der elektronischen Auktion gibt es in Art. 36 der RL 2014/24/EU auch noch den elektronischen Katalog. Hierbei handelt es sich um ein Format zur Darstellung und Gestaltung von Informationen in einer Weise, die allen teilnehmenden Bietern gemeinsam ist und die sich für eine elektronische Bearbeitung anbietet (vgl. Erwägungsgrund 68 der RL 2014/24/EU). Angebote können dann in Form eines elektronischen Katalogs übermittelt werden oder einen solchen beinhalten. Der elektronische Katalog bietet vor allem in zwei Situationen einen erheblichen Vorteil: Zum einen beim Einkauf von Standardgütern und -leistungen zur Abwicklung von Rahmenverträgen und zum anderen bei der Abbildung von Genehmigungsprozessen („Wer darf was bis zu welchem Bestellwert beschaffen?“).

Einheitliche Europäische Eigenerklärung

Art. 90 Abs. 3 RL 2014/24/EU sieht die Einführung der standardisierten „Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung“ (EEE) vor, die ausschließlich in elektronischer Form ausgestellt wird (Art. 59 Abs. 2 der RL 2014/24/EU). Die EEE soll anstelle von Bescheinigungen von Behörden oder Dritten auf Grundlage eines Standardformulars (ähnlich dem Formblatt 124 des Vergabe- und Vertragshandbuch des Bundes für Baumaßnahmen) als vorläufiger Nachweis dafür dienen, dass für einen Bieter keine Ausschlussgründe vorliegen und er die Eignungskriterien erfüllt. Ziel der EEE ist die Vereinfachung des Verfahrens der Eignungsprüfung.

Online-Dokumentenarchiv e-Certis

Bei e-Certis handelt es sich um das Online- Dokumentenarchiv der EU-Kommission, das gemäß Art. 61 Abs. 2 der RL 2014/24/EU durch öffentliche Auftraggeber für die standardisierte elektronische Speicherung von Eigen- und Dritterklärungen genutzt werden soll.

Fazit

Die RL 2014/24/EU beinhaltet eine Reihe von Neuerungen im Bereich der e-Vergabe. Wesentlich ist dabei die Verbindlichkeit der neuen Regelungen. Für die Konzessionsrichtlinie (Art. 29, 33, 34 RL 2014/23/EU) sowie die Sektorenrichtlinie (Art. 40 RL 2014/25/EU) existieren zum Teil abweichende Regelungen.

Umsetzungsfristen für die e- Vergabe

Für die e-Vergabe existieren abweichend von der allgemeinen Umsetzungsfrist für die RL 2014/24/EU abweichende Vorgaben.

Grundsatz: Umsetzung der e-Vergabe bis zum 18.10.2018 ins nationale Recht

Die neue Vergaberichtlinie ist von den Mitgliedstaaten bis zum 18.04.2016 ins nationale Recht umzusetzen (Art. 90 Abs. 1 der RL 2014/24/EU). Art. 90 Abs. 2 UAbs. 1 der RL 2014/24/EU regelt hiervon eine Ausnahme. Danach muss die Umsetzung der e-Vergabe erst bis zum 18.10.2018 erfolgen. Eine frühere Umsetzung der Regelungen ist jedoch möglich, wie die Formulierung „können die Mitgliedstaaten … aufschieben“ zeigt. Es handelt sich also nur um eine „Aufschiebemöglichkeit“.

Rückausnahmen

Gemäß Art. 90 Abs. 1 UAbs. 1 RL 2014/24/EU besteht keine Aufschiebemöglichkeit für die Umsetzung bestimmter Aspekte der e-Vergabe. Die Verwendung elektronischer Mittel bzw. deren Umsetzung bis zum 18.04.2016 ist verbindlich vorgeschrieben. Dabei handelt es sich um die Regelungen in den Art. 34, 35, 36, 37 Abs. 3, 51 Abs. 2 und 53 der RL 2014/24/EU.

Im Einzelnen sind die folgenden, bereits vorgestellten Regelungen von der Aufschiebemöglichkeit ausgenommen und bis spätestens zum 18.04.2016 umzusetzen:

• Dynamische Beschaffungssysteme (Art. 34)
• Elektronische Auktion (Art. 35)
• Elektronische Kataloge (Art. 36)
• Elektronische Verfügbarkeit der Vergabeunterlagen (Art. 53)

Die in Art. 51 Abs. 2 der RL 2014/24/EU getroffene Bestimmung, dass sämtliche Bekanntmachungen – also Vorinformation, Auftragsbekanntmachung und Vergabebekanntmachung – ausschließlich elektronisch zu übermitteln sind, kann ebenfalls nicht über den 18.04.2016 hinaus aufgeschoben werden. Hier wird die elektronische Übermittlung ab Erreichen der Schwellenwerte (vgl. § 2 VgV) vermutlich nach wie vor über SIMAP/TED erfolgen.

Die Umsetzung der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung kann bis zum 18.04.2018 aufgeschoben werden.

Sonderfall: Zentrale Beschaffungsstellen

Zentrale Beschaffungsstellen haben die Aufgabe, entgeltlich oder unentgeltlich für andere öffentliche Auftraggeber Ankäufe zu tätigen, dynamische Beschaffungssysteme zu verwalten oder öffentliche Aufträge zu vergeben bzw. Rahmenvereinbarungen zu schließen (vgl. EWG 69, Art. 2 Abs. 1 Nr. 14 RL 2014/24/EU).

Bei der Umsetzung der e-Vergabe für zentrale Beschaffungsstellen existiert eine Sonderregelung dergestalt, dass die e-Vergabe für diese schon bis zum 18.04.2017 umgesetzt werden muss (Art. 90 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2014/24/EU). Dies ergibt sich aus Art. 37 Abs. 3 RL 2014/24/EU: „Alle von der zentralen Beschaffungsstelle durchgeführten Vergabeverfahren sind nach Maßgabe der Anforderungen des Artikels 22 mit elektronischen Kommunikationsmitteln abzuwickeln.“

Dies bedeutet, dass zentrale Beschaffungsstellen sich spätestens zum 18.04.2017 darauf einstellen müssen, Bieterfragen/ Bieterkommunikation, Angebotsabgabe, Nachforderungen, Aufklärungen, Mitteilungen nach § 101a GWB und Zuschlagserteilung elektronisch abzuwickeln. Die elektronische Verarbeitung und Bewertung von Angeboten wird jedoch auch hier nicht verpflichtend.

Fazit

Im Ergebnis zeigt sich, dass nur die wenigsten Regelungen der e-Vergabe hinsichtlich der Umsetzung ins nationale Recht wirklich um weitere 30 Monate aufgeschoben werden können. Die wesentlichen Bestandteile der e-Vergabe sind bereits bis zum 18.04.2016 umzusetzen.

Ausblick

Die e-Vergabe wird sowohl Auftraggeber und Bieter noch beschäftigen. Auch wenn die Umsetzungsfrist noch in weiter Ferne scheint, ist allen Auftraggebern und Bietern angeraten, das Thema nicht aus dem Blick zu verlieren.

Das vorliegende „Legal Update“ zur e-Vergabe kann freilich nur einen ersten Überblick zu diesem Thema geben. GÖRG wird die Umsetzung der Vergaberichtlinien und der e-Vergabe in das deutsche Recht weiter begleiten und Sie über die wesentlichen Umsetzungsschritte kontinuierlich informieren.

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