BMWK legt Konzept für Industriestrompreise für energieintensive Unternehmen vor

Köln, 08.05.2023

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat im vergangenen Jahr zu enormen Preissteigerungen am europäischen Energiemarkt geführt und beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Unternehmen. Um die Energiekosten auch für diese Unternehmen zu begrenzen, hat der deutsche Gesetzgeber mit Wirkung zum 24. Dezember 2022 die Gas- und Strompreisbremse eingeführt, die nach derzeitigem Stand nicht verlängert werden sollen. Bereits Ende des vergangenen Jahres wurden jedoch Pläne des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) bekannt, einen Industriestrompreis einzuführen, um den Industriesektor zu dekarbonisieren und die internationale Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Unternehmen langfristig zu erhöhen.

Das BMWK hat am 5. Mai 2023 ein Arbeitspapier zur Einführung eines Industriestrompreises vorgelegt. Um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie sicherzustellen und die Dekarbonisierung des Industriesektors voranzubringen soll die energieintensive Industrie von den niedrigen Stromgestehungskosten der erneuerbaren Energien profitieren. Hierzu soll erneut das Förderdesign künftiger Ausschreibungen angepasst werden. Der Strom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen (EE-Anlagen) soll auf lange Sicht über gesetzlich geregelte Differenzverträge (Contracts for Difference - CfD) gefördert werden. Gleichzeitig soll der Abschluss von Direktverträgen (Power Purchase Agreements - PPA) zwischen den Betreibern von EE-Anlagen über Bürgschaften abgesichert werden (Transformationsstrompreis).

Da die erforderlichen EE-Anlagen jedoch erst ab dem Jahr 2030 zur Verfügung stehen werden, soll bis dahin im Anschluss an die Strompreisbremse mittelfristig ein Brückenstrompreis für energieintensive Unternehmen staatlich gefördert werden (Brückenstrompreis).

Transformationsstrompreis

Beschleunigter und langfristiger Ausbau der erneuerbaren Energien

Der massive und schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze ist grundlegende Voraussetzung dafür, dass der deutschen Industrie langfristig grüner Strom im erforderlichen Umfang zur Verfügung steht, um die Dekarbonisierung des Industriesektor voranzubringen. Das BMWK verweist hierzu insbesondere auf die Änderungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG 2023) und des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG 2023) im vergangenen Jahr sowie des Gesetzes zur Änderung des Raumordnungsgesetzes mit dem die Vorgaben der EU-Notfallverordnung zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für EE-Anlagen im März 2023 umgesetzt wurden.

Zweiseitige Differenzverträge (CfD)

Um Industrieunternehmen langfristig den Zugang zu kostengünstigen erneuerbaren Energien zu ermöglichen, soll Strom aus neuen EE-Anlagen zu Preisen nahe an den Stromgestehungskosten an die Industrie weitergereicht werden. Hierzu soll das Förderdesign auf zweiseitige gesetzlich geregelte Differenzverträge umgestellt werden. In einem Differenzvertragsmodell erhalten Anlagenbetreiber eine Förderung, wenn der Marktwert hinter dem in Ausschreibungen ermittelten anzulegenden Wert zurückbleibt. Der wesentliche Unterschied im Vergleich zur geförderten Direktvermarktung über die Marktprämie besteht darin, dass der Betreiber die Differenz zum Marktpreis zurückführt, wenn der am Markt erzielte Preis über dem anzulegenden Wert liegt.

Industriestrompreisverordnung gemäß § 96a WindSeeG

Laut BMWK soll dies für die Offshore-Windenergie im Verordnungswege über die bereits bestehende Verordnungsermächtigung des § 96a WindSeeG umgesetzt werden. Nach dieser kann das BMWK mit Zustimmung des Bundestages gesonderte Ausschreibungsbedingungen für Windenergieanlagen (WEA) auf See auf zentral voruntersuchten Flächen einführen, die von den aktuellen Ausschreibungsregelungen der §§ 50 bis 59 WindSeeG abweichen. Dabei können gemäß § 96a Abs. 1 Nr. 5 WindSeeG insbesondere gesonderte Vorgaben für eine Förderung des Stroms eingeführt werden, die von jenen des EEG abweichen und eine Förderung über gesetzlich geregelte Differenzverträge zulassen. Das erst im vergangenen Jahr reformierte Förderdesign für zentral voruntersuchte Flächen könnte mit Erlass einer Industriestrompreisverordnung somit zeitnah auf zweiseitige Differenzverträge umgestellt werden. In einem solchen „Basis-Modell“ könnte jedoch nicht nur die Strombeschaffung über einen Offshore-CfD, sondern auch die Vermarktung des Stroms über einen Industrie-CfD an energieintensive Unternehmen erfolgen. Hierzu würde die jeweilige zentral voruntersuchte Fläche auch auf der Nachfrageseite über Ausschreibungen vergeben, wobei ein Höchstwert für das Gebot (Vertragspreis) per Verordnung festgelegt wird. Der Staat könnte dabei auf der Angebots- und Nachfrageseite die Ausfallrisiken tragen, indem er die positiven bzw. negativen Differenzzahlungen zwischen Vertrags- und Referenzpreis auf Angebots- und Nachfrageseite übernimmt.

Nach § 96a Abs. 1 Nr. 11 WindSeeG können in der Industriestrompreisverordnung zudem gesonderte Vorgaben zur Zulässigkeit der Ausstellung von Herkunftsnachweisen (HKN) für den erzeugten Strom abweichend vom Doppelvermarktungsverbot des § 80 Abs. 2 EEG vorgesehen werden. Damit würden die Betreiber von WEA auf See trotz der Förderung über den CfD erstmals die Möglichkeit erhalten, gleichzeitig die HKN für dieselben Strommengen zu vermarkten. Die HKN können an das über den Industrie-CfD bezuschlagte energieintensive Unternehmen übertragen werden. Hierdurch sollen den Betreibern der WEA auf See die Nachteile ausgeglichen werden, die damit einhergehen, dass der im CfD-Modell erzeugte Strom nicht im Wege der sonstigen Direktvermarktung über PPA gemäß § 21a EEG vermarktet werden darf.

Nach § 96a Abs. 1 Nr. 12 WindSeeG kann der Verordnungsgeber zudem Regelungen für eine Verteilung des erzeugten Stroms an Unternehmen treffen. Dabei ist zum einen eine direkte Verteilung und zum anderen eine Verteilung über ein Finanzierungssystem möglich. Bei einer Verteilung über ein Finanzierungssystem erfolgt keine direkte Lieferung des Stroms, sondern es wird lediglich der Preis festgelegt, der dann zu Zahlungsströmen an die oder von den beteiligten Unternehmen führt. Dabei soll nur ein finanzieller Ausgleich entsprechend der stündlichen Abweichung des Vertragspreises zum Referenzpreis an der Strombörse erfolgen. Die beteiligten Unternehmen können nach der Verordnungsermächtigung zu Gegenleistungen verpflichtet werden. Dies gilt insbesondere für Projekte zur Minderung von Treibhausgas-Emissionen.

Erweiterung auf Onshore Wind und PV

Das BMWK kündigt im Arbeitspapier an, dass in der nächsten EEG-Novelle auch vergleichbare Regelungen für Wind Onshore und Photovoltaik eingeführt werden können, um der Industrie ein breiteres Erzeugungsprofil bereitzustellen.

Direktverträge für die Industrie (PPA)

Darüber hinaus soll nach dem Arbeitspapier des BMWK der Abschluss von PPA zwischen EE-Anlagen und Industrieunternehmen mit Bürgschaften abgesichert werden, um die Risikoprämien dieser Verträge zu reduzieren (sog. „norwegisches Modell“). Alternativ prüft das BMWK eine teilweise Haftungsfreistellung von kreditgebenden Banken und wie es Unternehmen ermöglicht werden kann, zusätzliche PPA abzuschließen, ohne dass sich dies negativ auf ihr Kreditrating auswirkt.

Brückenstrompreis

Während die dargestellten Maßnahmen der deutschen Industrie langfristig den Bezug von erneuerbaren Energien zu wettbewerbsfähigen Preisen ermöglichen sollen, soll ein sog. Brückenstrompreis in der Zwischenphase bis zum Jahr 2030 die energieintensive Industrie nach dem Auslaufen der Strompreisbremse entlasten.

Ausgestaltung

Der Brückenstrompreis soll bei 6 Cent pro Kilowattstunde liegen und spätestens 2030 auslaufen. Profitieren soll von dem Brückenstrompreis ein klar definierter Empfängerkreis bestehend aus energieintensive Industrieunternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, inklusive neuer energieintensiver Transformations-industrien. Das Arbeitspapier regt an, zur Definition dieser Unternehmen auf die bereits etablierten Maßstäbe der Besonderen Ausgleichsregelung im EEG bzw. Energiefinanzierungsgesetz heranzuziehen. Ähnlich zur Funktionsweise der Strompreisbremse soll die Förderhöhe aus der Differenz zwischen dem Strompreis und dem Brückenstrompreis von 6 ct/kWh bestehen. Allerdings soll, um weiterhin Einsparanreize zu setzen, nicht auf den unternehmensindividuellen Strompreis abgestellt werden, sondern auf den durchschnittlichen Börsenstrompreis in einem Kalenderjahr. Weiter sollen Einsparanreize dadurch erhalten bleiben, dass die Förderhöhe abhängig von einem „Stromverbrauchsbenchmark“ bestimmt wird und nur 80 % des Verbrauchs subventioniert werden sollen. Wie genau der Brückenstrompreis ausgestaltet und abgewickelt werden soll, insbesondere welche Stelle die Subventionen wann auszahlt, lässt das Arbeitspapier noch offen.

Unternehmen, welche von dem Brückenstrompreis profitieren wollen, sollen eine Transformationsverpflichtung hin zur Klimaneutralität bis 2045 eingehen müssen sowie eine langfristige Standortgarantie (wohl ähnlich der Arbeitsplatzerhaltungspflicht im Strompreisbremsegesetz) abgeben müssen. Zudem sollen begünstigte Unternehmen – soweit „verfassungsrechtlich zulässig“ – zur Tariftreue verpflichtet werden. Bei Inanspruchnahme des Brückenstrompreises soll zudem die Verpflichtung bestehen, die im Energieeffizienzgesetz vorgesehenen „freiwilligen Maßnahmen“ umzusetzen. Dazu gehören beispielsweise die Durchführung von Energieaudits, die Einführung von Energiemanagementsystemen oder die Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen.

Finanzierung

Den Finanzierungsbedarf eines Brückenstrompreises schätzt das Ministerium auf ca. 25 – 30 Milliarden Euro. Die Finanzierung soll aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) erfolgen, da eine Finanzierung aus regulären Haushaltsmitteln nicht möglich sei. Auch eine Finanzierung aus dem Klima- und Transformationsfonds würde andere wichtige Programme gefährden. Der WSF wurde im Rahmen der Corona-Krise eingerichtet, um Unternehmen zu unterstützen, die durch die Pandemie wirtschaftlich betroffen sind. Die Verwendung des WSF für andere Zwecke ist gesetzlich begrenzt und erfordert neue parlamentarische Beschlüsse. Entsprechend weist auch das Ministerium bereits darauf hin, dass die rechtlichen Hürden für eine rechtssichere Finanzierung des Brückenstrompreises aus dem WSF hoch sind.

Konsequenzen

Die von dem Ministerium skizzierte Ausgestaltung eines Brückenstrompreises könnte nach Auslaufen der Strompreisbremse dazu beitragen, dass energieintensive Unternehmen international wettbewerbsfähig bleiben. Die Aussicht auf einen Brückenstrompreis entlastet energieintensive Unternehmen jedoch nicht von der Notwendigkeit, ihren künftigen Energieverbrauch sowie ihren Energieeinkauf zu optimieren: Dadurch, dass die Subventionen abhängig von dem durchschnittlichen Börsenstrompreis eines Kalenderjahres ermittelt werden sollen, werden Unternehmen, deren Energiebezugspreise überdurchschnittlich hoch sind, weiter stark belastet. Auch das abhängig von einem „Stromverbrauchsbenchmark“ auf 80 % des Verbrauchs limitierte Entlastungskontingent reizt weiter zur Energieeinsparung an. Zudem bleibt die konkrete Ausgestaltung des Brückenstrompreises und der Voraussetzung einer Inanspruchnahme abzuwarten: Die vorgesehene langfristige Standortgarantie könnte im Einzelfall eine Inanspruchnahme der Entlastungen verhindern.

Fazit

Durch die Einführung eines Industriestrompreises kann die internationale Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Unternehmen ab dem Jahr 2030 gesteigert werden. Durch diesen staatlichen Eingriff in die Preisbildung würde die energieintensive Industrie aber von den Effizienzsignalen und Anreizen des Marktes abgeschnitten. Unter rechtlichen Gesichtspunkten dürfte sich insbesondere die Frage stellen, ob die Einführung eines Industriestrompreises beihilferechtskonform ausgestaltet werden kann.

Durch die Umstellung des Förderdesigns für WEA auf See auf zentral voruntersuchten Flächen ab dem Jahr 2024 über eine Industriestrompreisverordnung nach § 96a WindSeeG auf gesetzlich geregelte Differenzsysteme können die Planungssicherheit für Investoren langfristig erhöht und die Finanzierungskosten aufgrund der damit verbundenen Risikominimierung gesenkt werden. Gleichzeitig stellt der damit verbundene Ausschluss der Vermarktung über PPA einen weiteren staatlichen Eingriff dar, der mit der eigentlich angestrebten Marktintegration der erneuerbaren Energien kaum zu vereinbaren sein dürfte.

Ob es zu einer Einführung des angedachten Brückenstrompreises kommt ist aktuell fraglich. Hürden für die Umsetzung dürften insbesondere die Beihilfekonformität sowie die Frage der rechtssicheren Finanzierung darstellen. Zudem begegnet die Idee des Brückenstrompreises derzeit bereits erheblicher Kritik aus dem Finanzministerium, in welcher das Konzept als verteilungspolitisch ungerecht und ökonomisch ineffizient bezeichnet wird. Es bleibt daher abzuwarten, ob und in welcher Ausgestaltung der Brückenstrompreis umgesetzt werden kann. Entscheidend wird dabei sein, dass dies als wichtiges Zeichen an die energieintensive Industrie zeitnah entschieden wird.

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